Themenkreis Inklusion und gesellschaftlicher Zusammenhalt Vorstellung der Studie „Invisible Wounds: Navigating Mental Health Challenges and Support for Ukrainian Adolescent Boys and Young Men“
Der Krieg in der Ukraine hat sich tiefgreifend auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung ausgewirkt. Für heranwachsende Jungen und junge Männer ist es besonders schwierig, Zugang zu psychosozialer Unterstützung zu erhalten. Diese Herausforderung wird durch Vertreibung, wirtschaftliche Instabilität und die Belastung durch traditionelle Geschlechternormen noch verstärkt.
Wie kann man mit den Herausforderungen und Bedürfnissen dieser Zielgruppe umgehen? Die Studie „Invisible Wounds: Navigating Mental Health Challenges and Support for Ukrainian Adolescent Boys and Young Men“ von Plan International und weiteren beteiligten Expert*innen gibt Antworten.
Psychosoziale Hilfe muss geschlechtersensibel gestaltet werden
Jana Kämmer gibt eine Einführung in die Studienergebnisse.
Jana Kämmer (Plan International Deutschland (Externer Link)) erklärt den 70 Teilnehmer*innen, warum die Studie durchgeführt wurde. In humanitären Krisensituationen liege der Fokus psychosozialer Unterstützung häufig auf Frauen und Kindern. Heranwachsende Jungen und junge Männer hingegen würden in den bestehenden Programmen oft übersehen.
Kämmer betont: „Alle humanitären Maßnahmen sollten geschlechtersensibel gestaltet sein – angepasst an die konkreten Bedürfnisse der Betroffenen, unter Berücksichtigung von Geschlecht, Alter, Behinderung und weiteren Faktoren.“
Im Mittelpunkt der Studie stand die Frage, wie sich der Krieg auf die mentale Gesundheit junger ukrainischer Männer in der Ukraine, Rumänien, Moldawien und Polen auswirkt. Durch einen partizipativen Forschungsansatz sollten ihre spezifischen Bedarfe identifiziert und Empfehlungen für ein inklusives und zugängliches Unterstützungsangebot formuliert werden. Angesichts der regionalen, thematischen und altersspezifischen Besonderheiten weist die Studie laut Jana Kämmer viele Unterschiede auf. Sie empfiehlt daher, diese vollständig zu lesen.
Vielschichtige Herausforderungen für junge Männer
Teofana Cepoi und Danylo Gnap im Gespräch mit Andriy Gabuza
Teofana Cepoi, Research Managerin bei Plan International Rumänien (Externer Link), und Danylo Gnap, Child Safeguard Manager bei der Unbreakable Ukraine Foundation (Externer Link) in Polen, gehen auf die zentralen Ergebnisse der Studie ein. Junge Männer seien vom Krieg in der Ukraine in besonderem Maße betroffen – durch Vertreibung, wirtschaftliche Unsicherheit und den Druck traditioneller Geschlechternormen. Hinzu kommen logistische, soziale und kulturelle Hürden beim Zugang zu mentaler Gesundheitsversorgung.
Teofana Cepoi beschreibt in diesem Zusammenhang eine „kritische Lücke“, wenn es um die Bearbeitung von Geschlechterungleichheiten in humanitären Einsätzen geht. Damit unterstreicht sie die eingangs von Jana Kämmer gegebenen Gründe für die Durchführung der Studie. Zwar gebe es humanitäre Programme zur Unterstützung von Mentaler Gesundheit und Psychosozialer Unterstützung (Mental Health and Psychosocial Support, MHPSS), diese adressierten jedoch selten die Bedürfnisse junger Männer. Für Cepoi steht fest: „Jungen und junge Männer stehen vor einzigartigen Herausforderungen aufgrund von Erwartungen der Gesellschaft an ihre Maskulinität, der maskulinen Sozialisierung und geschlechterspezifischen Zuschreibungen.“
Teofana Cepoi gibt Details zur Methode und der Untersuchungsgruppe der Studie.
Dabei wirken sich diese Belastungen nicht nur auf der individuellen Ebene aus. Sie haben auch Folgen auf der gesellschaftlichen Ebene, insbesondere in Bezug darauf, wie junge Männer Beziehungen aufbauen und führen. Hinzu kommen logistische, kulturelle und soziale Barrieren, um psychosoziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein großes Problem für viele junge Männer sind zudem fehlende Informationen sowie ein Mangel an Fachpersonal zur psychosozialen Unterstützung.
Doch wie genau wirkt sich der vollumfängliche russische Angriffskrieg auf die mentale Gesundheit von Jungen und jungen Männern aus? Teofana Cepoi nennt vier konkrete Folgen:
- Druck durch das Fehlen eines männlichen Rollenvorbilds
- Schwierigkeiten beim Aufbau sozialer Bindungen
- Ausgeprägte Überlebenstechniken, auch in der Diaspora
- Stigmatisierung im Hinblick auf Verantwortung und Geschlechterrollen.
Aus diesem Grund konnten die Autor*innen der Studie unterschiedliche Arten von Bewältigungsmechanismen unter den Befragten feststellen, wie etwa der Rückzug in Sport und Freiwilligendienste, aber auch negative Formen, wie die Flucht in digitale Medien, Drogenmissbrauch und sozialer Rückzug.
Erschwerter Zugang mit dem Erwachsenwerden
Danylo Gnap erweitert das Bild aufgrund seiner Erfahrungen mit heranwachsenden Jungen und jungen Männern in Polen. Er weist dabei auf eine Versorgungslücke hin: Während ukrainische Kinder in den vier untersuchten Ländern häufig noch Zugang zu psychosozialer Unterstützung erhielten, würden sie diesen im Erwachsenenalter zunehmend verlieren – ein Prozess, der vor allem viele junge Männer ohne mentale Unterstützung zurückließe. Besonders betroffen seien jene, die aus den besetzten und umkämpften Regionen der Ukraine geflüchtet sind. In den Nachbarländern kämen weitere Hürden hinzu, wie etwa sprachliche Barrieren und hohe Kosten bei der Beanspruchung von mentaler Unterstützung.
Was bei der Studie heraussticht? Laut Danylo Gnap die Tatsache, wie resilient ukrainische Jungen und junge Männer dabei seien, Lösungen und Wege im Umgang mit Herausforderungen zu finden oder diese zu verdrängen.
Geschlechtersensible Unterstützung als zentrale Aufgabe
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen: Um mentale Gesundheit langfristig zu adressieren, braucht es in humanitären Interventionen eine geschlechtersensible Betreuung von Männern und Frauen. „Mentale Unterstützung ist eine Investition – insbesondere aus staatlicher Sicht“, so Danylo Gnap. Dazu sei es besonders wichtig, das Bewusstsein für die spezifischen Herausforderungen von Männern zu steigern und Hürden für die Inanspruchnahme mentaler Hilfsangebote abzubauen.
Ergänzende Informationen zur Studie finden Sie hier:
- Youth worker speaks out for mental health support | Plan International Ukraine (Externer Link)
- Ukrainian young men’s struggle for mental health support | Plan International Ukraine (Externer Link)
- Mental Health of Ukrainian Adolescent Boys and Young Men (Externer Link)