Regionaler Wiederaufbau in der Ukraine Städte und Regionen im Fokus: Charkiw
Es lohnt auch mit Blick auf den Wiederaufbau des Landes, sich mit den einzelnen Städten und Regionen genauer auseinanderzusetzen. Wir beginnen mit Charkiw.
Den Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Städte und Regionen im Fokus“ bildete am 25. Juni 2025 eine Veranstaltung zu Charkiw.
Olga Pischel über die Städtepartnerschaft zwischen Steglitz-Zehlendorf und Charkiw.
„Charkiw ist als Frontstadt bekannt geworden. Die Stadt hat den militärischen Angriff abgewehrt, wurde trotz ständiger Bombardierungen und Zerstörungen nicht besetzt und steht wie eine Festung. Möglich ist das unter anderem dank der starken Zivilgesellschaft.“
Olga Pischel, Direktorin von KUL’TURA e.V., berichtet in ihrem Beitrag über die seit 35 Jahren bestehende Städtepartnerschaft zwischen dem Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf und Charkiw.
Seit Beginn der russischen Vollinvasion 2022 hätten Solidarität, öffentliches Interesse und die Bereitschaft zur Unterstützung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf nochmals deutlich zugenommen. Dabei seien gemeinsame Initiativen von Vereinen, dem Bezirksparlament und lokalen Institutionen besonders wichtig. Ein sichtbares Zeichen dieser gelebten Solidarität sei der sogenannte Charkiw-Park (Externer Link) in Steglitz-Zehlendorf – ein Ort für Konzerte, Veranstaltungen und Treffen der ukrainischen Community.
Auch konkrete Hilfe vor Ort werde organisiert, betont Pischel: Der Bezirk unterstütze die Lieferung von Lebensmitteln an Krankenhäuser, psychologische Betreuung und die Bereitstellung medizinischer Güter in Charkiw.
Ebenso werde der Wiederaufbau der Karasin-Universität und die Betreuung ihrer Studierenden aktiv gefördert. Mit dem Verein KUL’TURA e.V. engagiere sich die Partnergemeinde zudem für den Erhalt und die Sichtbarmachung der Kultur Charkiws, unter anderem durch die Organisation internationaler Ausstellungen.
Charkiw als Vorzeigebeispiel für gelebten Wiederaufbau
Dr. Yuliya Bidenko gibt Einblicke in ihre Forschung darüber, wie man lokale Gemeinden und zivilgesellschaftliche Organisationen in die Wiederaufbauprozesse einbindet.
Dr. Yuliya Bidenko, Wissenschaftlerin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) und Professorin an der Karasin-Universität in Charkiw, erklärt den Teilnehmenden die zentralen Herausforderungen für den Wiederaufbau in der Region.
Die fortwährenden Angriffe zerstörten die bestehende Infrastruktur immer weiter und erschwerten langfristige Planungen. Gleichzeitig zähle Charkiw zusammen mit Kyjiw und Dnipro zu den drei Städten der Ukraine mit den meisten Binnenvertriebenen. Eine Situation, die die Region vor enorme Herausforderungen stelle – insbesondere in den Bereichen Wohnraum, Bildung, lokale Verwaltung und soziale Integration. In diesem Zusammenhang betont Bidenko besonders die Notwendigkeit, Kindern und Jugendlichen auch im Krieg den Präsenzunterricht zu ermöglichen. Derzeit entstünden in Charkiw 38 neue unterirdische Schulen, um Bildung trotz der anhaltenden Angriffe zugänglich zu machen.
Mit über 2.000 registrierten Organisationen verfügt die Region Charkiw laut Bidenko über eine sehr engagierte Zivilgesellschaft. Sie unterstreicht die wichtige Rolle der Geber*innen, um bewährte Verfahren einzubringen und alle relevanten Akteur*innen – von lokalen Verwaltungen über Architekt*innen und Stadtplaner*innen bis hin zu NGOs – strukturell einzubinden: „Wiederaufbau ist ein fortlaufender Prozess. Er hängt nicht nur vom guten Willen der Behörden ab, sondern davon, wie aktiv die Menschen vor Ort mitwirken.“
Ihr Fazit: Der Wiederaufbau in Charkiw sei ein Beispiel für einen innovativen, inklusiven und professionellen Prozess, getragen von einer aktiven Verwaltung, einer starken Zivilgesellschaft und internationaler Unterstützung.
Regionale Entwicklung stärken: Die Arbeit der Kharkiv Regional Development Agency
Yevhenii Lukyanenko erklärt den Leitgedanken der Agentur: „ […] sicherzustellen, dass Menschen ein gutes Leben führen können, unabhängig davon, wo sie leben.“
Yevhenii Lukyanenko stellt die Kharkiv Regional Development Agency vor – eine junge Organisation, die lokale Verwaltungen, Zivilgesellschaft, internationale Partner*innen und die Wirtschaft in der Region miteinander vernetzt. Die Agentur unterstütze Gemeinden und Unternehmen darin, Fördermittel zu beantragen und Projekte durchzuführen. Allein in den vergangenen fünf Monaten habe sie 18 Anträge mit einem Gesamtvolumen von rund 840.000 Euro vorbereitet, unter anderem für Schutzräume an Schulen, Zentren für Veteran*innen und lokale Gemeinschaftsinitiativen.
Angesichts der massiven Zerstörungen – bis Anfang 2025 wurden über 80.000 zivile und industrielle Gebäude in der Region beschädigt oder zerstört – setzt die Agentur laut Lukyanenko auf pragmatische, schnelle Lösungen.
Ein weiterer Fokus der Agentur läge auf der wirtschaftlichen Stärkung der Region. So entwickele sie Trainingsprogramme und Angebote, um lokale Betriebe und Verwaltungen zu unterstützen. Das Engagement kann sich sehen lassen: Durch die Programme entstünden, berichtet Lukyanenko weiter, trotz der andauernden Angriffe neue Arbeitsplätze und Impulse für strukturellen Wandel und wirtschaftliches Wachstum.
Bildung in der Ukraine schützen und fördern: Die savED Foundation
Anna Putsova stellt verschiedene Projekte der savED Foundation in Kharkiw vor.
„In der Region [Charkiw] konnten wir mit unseren elf Zentren bislang 6.304 Kinder schützen“, berichtet Anna Putsova von der savED Foundation.
Die Stiftung setzt sich für sicheren Bildungszugang und sozialen Austausch in der Ukraine ein.
Seit ihrer Gründung vor drei Jahren hat savED laut Putsova in der gesamten Ukraine über 76.000 Kinder erreicht, Projekte in 94 Gemeinden im ganzen Land umgesetzt und 88 Lernzentren eröffnet. In der Region Charkiw wurden elf sogenannte „EduHive“-Lernzentren eingerichtet und fünf Schutzräume an Schulen bereitgestellt.
Ein weiterer Schwerpunkt läge auf der psychosozialen Unterstützung von Lehrkräften aus frontnahen Gebieten. In Zusammenarbeit mit Kindernothilfe e.V. (Externer Link) organisiere savED Erholungsangebote, um das Personal zu entlasten und mental zu unterstützen.
Anna Putsova betont: „In der Region Charkiw müssen wir für jede Gruppe sozialer Akteur*innen kreative Wege finden, um ihnen zu zeigen: Ihr seid nicht allein.“
Charkiw erfolgreich pilotiert, wie geht es nun weiter?
Am 28. August 2025 planen wir die zweite Veranstaltung aus der Reihe „Städte und Regionen im Fokus“. Die Oblast und Stadt, die wir uns dann genauer anschauen, ist Mykolajiw. Anmelden können Sie sich hier.