Plattform Wiederaufbau Ukraine

Themenkreis Städtischer und kommunaler Wiederaufbau Fachveranstaltung zu „Wohnungswirtschaft im Wandel: Von Krisen lernen und Potenziale nutzen“

Etwa zehn Prozent der Wohnungen in der Ukraine sind als Folge des russischen Angriffskriegs zerstört oder beschädigt, weitaus mehr befinden sich aufgrund jahrzehntelangem Investitionsstau in sanierungsbedürftigem Zustand. Hinzu kommt der große Bedarf, Wohnraum für Binnenvertriebene bereitzustellen.

Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur das soziale und wirtschaftliche Leben massiv beeinflusst, sondern auch den Wohnungsmarkt und die städtische Infrastruktur vor enorme Belastungen gestellt. Diese Krisenzeiten haben Schwachstellen im bestehenden System offengelegt, gleichzeitig aber auch Chancen eröffnet.
Marta Pastukh Plattform Wiederaufbau Ukraine

Weitere Informationen

Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier (Externer Link).

Damit eröffnet Marta Pastukh (Plattform Wiederaufbau Ukraine) die Fachveranstaltung zur Wohnungswirtschaft in der Ukraine.

Ist aber jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, um sich – inmitten eines laufenden Krieges – um Wohnungsbau zu kümmern?

Marta Pastukh stellt den Referent*innen der Veranstaltung diese provokante Frage.

Recht auf Wohnen

Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Menschenrecht auf Wohnen ist Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard, wie es in Artikel 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) verbrieft ist.

Die Reaktionen von Knut Höller und Yuliia Popova von der Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa (iwoev.org (Externer Link)) sowie Yurii Telipskyi (Geschäftsführer Lviv Intercity Bureau of Technical Inventory, Unbroken (Externer Link)) ist eindeutig: Oberste Priorität habe natürlich die Verteidigung der Ukraine. Gleichzeitig sei das Recht auf Wohnen aber eines der Menschenrechte, erklärt Höller. Und Yuliia Popova ergänzt: „Nach der Einschätzung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist Wohnraum eine der drei wichtigsten Bedürfnisse der Menschen und es ist auch einer der wichtigsten Faktoren, warum Menschen das Land verlassen oder ins Land zurückzukehren.“

Für Yurii Telipskyi ist auch der Blick in die Zukunft relevant: „Diese Frage ist vielleicht nicht die aktuellste im Moment, aber ich kann sicher sagen, dass wir in ein paar Jahren bestimmt diese Frage als sehr aktuelle Frage behandeln werden.“

Wie kann man also jetzt schon die heute bestehende und zukünftig noch wichtigere Frage nach ausreichendem und passendem Wohnraum angehen?

Die Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa (IWO) e.V

Die Initiative verschreibt sich als gemeinnütziger Verein seit ihrer Gründung 2001 durch das Bundesbauministerium der Entwicklungszusammenarbeit und dem Umweltschutz. Ihre Projekte und Aktivitäten tragen zur Entwicklung marktwirtschaftlicher Strukturen in der Wohnungs- und Bauwirtschaft in den Ländern Osteuropas, Zentralasiens und des Kaukasus bei.

Die Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa (IWO) e.V (Externer Link). arbeitet an verschiedenen Antwortmöglichkeiten. Zum Beispiel in Charkiw, für die sie ein kommunales Wohnungskonzept erarbeiten. Das Projekt ist Teil des UN4UkrainianCities-Programms der UNECE und wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert. Parallel führt die IWO ein Projekt im Auftrag des Auswärtigen Amts (AA) durch, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen zu aktuellen wohnungspolitischen Prozessen eingebunden werden.

In Charkiw gebe es laut Knut Höller sehr viele Zerstörungen. Die Stadtverwaltung sei sehr bemüht, diese Zerstörungen schnell zu reparieren. Gleichzeitig kämen durch den russischen Beschuss aber immer wieder neue Beschädigungen hinzu.

Die strukturellen Herausforderungen in der Ukraine würden durch den Krieg nun deutlich sichtbar, erklärt Yuliia Popova: 96 Prozent des Wohnraums befände sich im Privatbesitz. Das hieße allerdings nicht, dass 96 Prozent der Ukrainer*innen über Wohneigentum verfüge.
Das Problem daran: Der Mietmarkt sei nicht reguliert, es gebe zudem kaum Hausverwaltungen, die einen übergeordneten Blick auf Mehrfamilienhäuser haben könnten. Hinzu käme die schlechte Qualität vieler Wohnungen. Ein Großteil der Mehrfamilienhäuser sei noch zu Zeiten der Sowjetunion errichtet worden, über Jahrzehnte hinweg wurden laut Popova keine Investitionen für Sanierung oder Modernisierung getätigt.

Herausforderungen in der Wohnwirtschaft in Zahlen

Herausforderungen in der Wohnwirtschaft in Zahlen

Herausforderungen in der Wohnwirtschaft in Zahlen

„Weil wir die Mietwohnwirtschaft ignoriert haben, müssen wir viele Konsequenzen erleiden“, so Popova. 500.000 bezahlbare Mietwohnungen würden benötigt, davon allein 100.000 im Oblast Charkiw.

Neben der Bereitstellung von Mietwohnungen wäre laut Popova auch die Diversifizierung der Wohnwirtschaft eine Lösung: Indem man beispielsweise unterschiedliche Eigentumsformen für unterschiedliche Lebenssituationen fördere.

Die Ukraine-Fazilität

Die Fazilität ist ein zentrales Instrument der EU zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen, mit denen die Ukraine nach dem russischen Angriffskrieg konfrontiert ist. Dieser Unterstützungsmechanismus ist am 1. März 2024 in Kraft getreten und bietet bis zu 50 Milliarden Euro an stabiler und vorhersehbarer finanzieller Unterstützung.

Damit verbunden ist der Ukraine-Plan, (Externer Link) in dem die ukrainische Regierung darlegt, welche Reformen und Maßnahmen sie für den Wiederaufbau des Landes und den EU-Beitrittsprozess durchführen will.

Maßnahmen wie diese stünden bereits in der UNECE-Studie Country Profiles on Housing and Land Management: Ukraine (Externer Link) von 2013, die Empfehlungen darin seien nach wie vor aktuell.

Yuliia Popova verweist an der Stelle auch auf die Ukraine-Fazilität und den Ukraine-Plan, in dem die Ausschüttung der Gelder auch an die Durchführung einer systematischen Reform der Wohnwirtschaft gebunden sei.

Das IWO-Projekt in Charkiw fokussiere laut Knut Höller in diesem Jahr daher auf die Frage, wie die Kommunen stärker im Bereich Wohnungswirtschaft aktiv werden können. Der Blick nach Deutschland sei dabei hilfreich – wenn man sich das kommunale Wohnungsunternehmensmodell aus Deutschland anschaue und daraus Ableitungen träfe.

Auf einer Reise im November konnten Vertreter*innen des ukrainischen Ministeriums für kommunale Entwicklung und dem Sozialministerium sowie der Städte Mykolajiw und Charkiw das kommunale Wohnungsunternehmen der Charkiwer Partnerstadt Nürnberg besuchen. So beschäftigten sich die Teilnehmer*innen intensiv mit der Funktionsweise des Unternehmens und den Stellschrauben, wie man um 10 bis 20 Prozent günstigere Wohnungen als auf dem Markt bereitstellen könne.

Wie können deutsche Wohnungsunternehmen ukrainischen Städten helfen?

Wie können deutsche Wohnungsunternehmen ukrainischen Städten helfen?

Wie können deutsche Wohnungsunternehmen ukrainischen Städten helfen?

Das Beispiel von Nürnberg und Charkiw zeige laut Höller, wie deutsche Kommunen und Unternehmen beim Wiederaufbau der Ukraine unterstützen können. Er macht das am Beispiel der EU und der bereits von Yuliia Popova erwähnten Ukraine-Fazilität fest: Die EU möchte Pilotprojekte im Wohnungsbau mit einer Kombination aus Zuschüssen und Darlehen unterstützen, wichtig sei hierfür aber die Schaffung von Empfängerstrukturen.

Für Charkiw hat die IWO kalkuliert, dass ein Wohnungsunternehmen ab 2.500 Wohnungen kostendeckend arbeiten könnte. Für den institutionellen Aufbau sei eine Phase von zwei bis drei Jahren notwendig, das müsse bei der Durchführung im Blick behalten werden.

Verbreitung von kommunalen Wohnungen in Deutschland

Verbreitung von kommunalen Wohnungen in Deutschland

Verbreitung von kommunalen Wohnungen in Deutschland

Aus deutscher Sicht kann hier viel beigetragen werden: Es gebe laut Höller flächendeckend kommunale Wohnungsunternehmen unterschiedlicher Größe, die wiederum zu Städten gehörten, die Partnerschaften mit ukrainischen Städten eingegangen sind. Er verweist an der Stelle auf die Ukraine-Konferenz des Landes Nordrhein-Westfalen (Externer Link) am 18. November 2024, auf der auch zahlreiche Kommunen mit Städtepartnerschaften in der Ukraine vertreten waren.

Das Ziel könnte sein, Wohnungswirtschaft als Thema im Rahmen der Städtepartnerschaften auf ein gleiches Niveau wie Betreiberpartnerschaften (Externer Link) zu Abfall, Wasser und Energie zu bringen.

Knut Höller lädt interessierte Akteur*innen aus Kommunen und Wohnungsunternehmen ein: „Wir würden gerne am Beispiel von Nürnberg und Charkiw mit weiteren Städten solche Modelle diskutieren, diese Partnerschaften miteinander vernetzen und den Austausch von Spezialisten in deutschen Wohnungsunternehmen organisieren.“

Dabei müsse es laut Höller aber auch nicht bleiben: „Wir könnten das Modell aus unserer Sicht soweit treiben, dass man auch Managementpartnerschaften zwischen diesen neu zu gründenden und deutschen Wohnungsunternehmen errichtet, wie sie Wohnungsunternehmen in der Ukraine bei der Gründung und der Erarbeitung ihrer Konzepte unterstützt, aber auch beim Management und der Vorbereitung von Investitionsvorhaben, die eben mit internationalen Mitteln finanziert werden sollen und so vielleicht auch eine Qualitätskomponente in diese Projekte reinzubringen und für mehr Transparenz zu sorgen.“

Damit leitet er zu einem Pilotprojekt in der Ukraine über, das bis jetzt vor allem für sein Krankenhaus und Rehabilitationszentrum sowie eine von Deutschland finanzierte Prothesenwerkstatt bekannt war: Unbroken (Externer Link).

Das Ökosystem Unbroken wird um Mietwohnungen erweitert

Das Ökosystem Unbroken wird um Mietwohnungen erweitert

Das Ökosystem Unbroken wird um Mietwohnungen erweitert

Der Ort, an dem nun für 20 Millionen Euro insgesamt acht Gebäude für rund 800 Menschen errichtet werden, bot sich aus den folgenden Gründen an: Das Gebiet liegt fernab des Lwiwer Stadtzentrums, ist deutlich weniger dicht bebaut und erfährt gleichzeitig durch das bisherige Unbroken-Projekt größere Aufmerksamkeit. Kurzum: Die Bewohner der Gegend konnten gut einschätzen, dass durch den Verkauf ihrer Äcker – auf denen die besagten Gebäude nun errichtet werden – die Gegend in Zukunft attraktiver und besser erschlossen wird.

Yurii Telipskyi bestätigt am Beispiel von Unbroken, was seine Vorredner*innen bereits angesprochen hatten: Ukrainische Kommunen, in dem Fall Lwiw, verfügten bislang über keinerlei Erfahrungen mit Projekten, in denen gebaute Wohnungen nicht direkt weiterverkauft, sondern vermietet werden. Alle Beteiligten würden bei diesem Pilotprojekt also einen großen Lernprozess durchlaufen.

Wohnungswirtschaft in der Ukraine: Wie können sich deutsche Akteur*innen engagieren?

Wohnungswirtschaft in der Ukraine: Wie können sich deutsche Akteur*innen engagieren?

Wohnungswirtschaft in der Ukraine: Wie können sich deutsche Akteur*innen engagieren?

Baut man die Häuser in einem Rutsch oder nacheinander? Wie kann man Risiken minimieren und aus gemachten Fehlern lernen? Und wie kalkuliert man für Mietwohnungen Preisveränderungen bei zu verwendenden Materialien? Telipskyi möchte gern sein Wissen und seine Erfahrung teilen, auch mit anderen ukrainischen Kommunen.

Wie auch Knut Höller sieht er Möglichkeiten, von Deutschland zu lernen: „Eigentlich mag ich das Modell, das es in Deutschland gibt, wo jedes Bundesland zum Beispiel die Spielregeln festlegt. In dieser Hinsicht kann man ganz genau sehen, welches Modell das beste ist für die Stadt und für die Menschen. Weil wir schließlich das alles für die Menschen machen.“