Themenkreis Städtischer und kommunaler Wiederaufbau Fachveranstaltung zur Energieversorgung in der Ukraine im kommenden Winter
Mit dieser Aussage setzt Marta Pastukh (Plattform Wiederaufbau Ukraine) den Rahmen für die Fachveranstaltung am 24. September 2024. Sie hält weiter fest: „Der kommende Winter stellt das ukrainische Volk vor eine enorme Belastungsprobe“.
Dass die Situation dieses Jahr besonders schwierig ist, unterstreicht Dr. Ulrike Hopp-Nishanka (Leiterin des Ukrainestabs im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ):
„Die Angriffe auf die Energieinfrastruktur (…) im März und seit August sind (…) die schlimmsten und verheerendsten seit Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges.“
Das Defizit würde bereits auf circa sieben Gigawatt geschätzt, die Folgen seien Wasserknappheit und mehrstündige Stromabschaltungen für viele Menschen.
„Darum ist es ein großes Anliegen für die ukrainische Regierung, (…) für alle Menschen der Ukraine und alle ihre Unterstützer*innen, (…) dem entgegenzustehen und entgegenzuwirken“, hält Dr. Hopp-Nishanka fest.
Die Bundesregierung tue dies in enger Abstimmung mit den internationalen Partner*innen, vor allem im G7-Kreis, indem beispielsweise in wöchentlichen Koordinierungsrunden die Beschaffung und Finanzierung von Ersatzteilen koordiniert werde. Im Rahmen des Ukraine-Energieunterstützungsfonds (Ukraine Energy Support Fund (Externer Link)) komme auch Geld von der EU.
Dr. Hopp-Nishanka ergänzt: „Die Bundesregierung zahlt in diesen Fonds (…) seit vielen Jahren ein. Deutschland ist der größte [bilaterale] Geber (…) und hat bisher 220 Millionen [Euro] zur Verfügung gestellt.“
Das Auswärtige Amt unterstütze zudem den EU-Krisenreaktionsmechanismus (Externer Link), im Rahmen dessen humanitäre Hilfe für die Ukraine, zum Beispiel durch das Liefern von Generatoren, umgesetzt werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) habe ebenfalls, im Rahmen der Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaft (Externer Link), eine sehr große Menge an Sachspenden mobilisiert: Energiegüter im Wert von 2,9 Millionen Euro seien bereits von deutschen Unternehmen gespendet worden. Den Transport in die Ukraine finanziere das Wirtschaftsministerium, so Dr. Hopp-Nishanka.
Das Entwicklungsministerium (BMZ) setze komplementär zu den anderen Ministerien auf der kommunalen Ebene an. Als wichtiges Ziel nennt Dr. Hopp-Nishanka die Dezentralisierung der Energieversorgung. Das BMZ arbeite zu diesem Thema schon länger mit dem nationalen Netzbetreiber „Ukrenerho“ im Kontext der EU-Integration zusammen. Darüber hinaus setzt die Unterstützung durch das BMZ direkt an den Kommunen an, um dezentral vor Ort die Wärme- und Notstromversorgung zu unterstützen. Einen wichtigen Beitrag leisteten auch die Deutsch-Ukrainischen Kommunalpartnerschaften (Externer Link), die vom BMZ gefördert werden. Die verschiedenen Ansätze der Ressorts seien ein gutes Beispiel für die aufeinander abgestimmte Arbeit der Bundesregierung.
Robert Künne, Clusterkoordinator „Energy & Climate“ bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der Ukraine, erklärt, dass die Unterstützung der Bundesregierung im Bereich Energie und Klima seit Beginn des russischen Angriffskrieges einen Fokus auf die Energie- und Wärmeversorgung lege. Das Portfolio der Projekte umfasse kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen, „um die Ukraine in der aktuellen Situation zu unterstützen, aber eben auch auf ihrem Weg (…) zum EU-Beitritt.“
Als Beispiele ihrer Arbeit nennt Robert Künne die Installation von Solarmodulen auf einem Kinderkrankenhaus in Sumy, die die Notstrom- und Warmwasserversorgung sicherstellen könnten, sowie die Ausbildung von Fachkräften in der Baubranche in Charkiw. Außerdem erwähnt er den Energieeffizienfonds (Externer Link), der die Sanierung von Mehrfamilienhäusern fördert. Um bis zu 34 Prozent könne man dadurch den Energieverbrauch eines Hauses reduzieren. Mit dem Fonds habe man bereits 178 Gebäude mit insgesamt 17.000 Haushalten energetisch saniert, so Künne.
Für die akute Versorgung kommt er auf die eingangs erwähnte Spendenkampagne (Externer Link) zu sprechen: mehr als 8.000 gebrauchte Güter im Wert von 2,9 Millionen Euro hätten deutsche Unternehmen bereits gespendet. Über eine halbe Million Menschen habe man dadurch erneut mit Strom und Wärme versorgen können. Robert Künne verweist auf die Website der Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaft, auf der eine Liste (Externer Link) dringend benötigter Ersatzteile zur Verfügung gestellt wird. Spendenbereite deutsche Unternehmen können dann direkt in den Austausch mit dem Team gehen, um einen möglichen Transport in die Ukraine zu organisieren.
Kostyantyn Krynytskyi (Bereichsleiter Energie, Ecoaction (Externer Link)) verdeutlicht die Dringlichkeit der vorgestellten Unterstützung: 73 Prozent der Wärmeerzeugung seien ausgefallen und selbst an den warmen Sommertagen habe man vielerorts stundenlange Stromabschaltungen erlebt. Auch das Szenario eines totalen Blackouts sei in diesem Winter nicht auszuschließen, falls Russland gezielt die Umspannwerke attackiere.
Um die Ukraine zu unterstützen, so Krynytskyi, braucht es: „mehr Luftabwehr (…) und auch weitreichende Waffen, damit wir die militärischen Ziele in Russland zerstören können, von denen wir beschossen werden. [Es ist] kostengünstiger, diese Attacken zu vermeiden, als [die Infrastruktur] später wieder aufzubauen.“
Über die militärische Hilfe hinaus seien ebenfalls Veränderungen im Energiesektor notwendig. Auch Krynytskyi spricht von Dezentralisierung, denn es sei wichtig, „bestimmte Energiekapazitäten aufzubauen, die näher am Verbraucher sind.“ Erneuerbare Energien spielten dabei eine wichtige Rolle. Er betont die starke Unterstützung, die die Ukraine durch Deutschland erhalte und auch die Vielzahl an Projekten, die umgesetzt werden.
Seine Organisation setze sich für den Ausbau erneuerbarer Energien und einer kleinteiligeren Infrastruktur ein. Dabei ginge es nicht nur um die technischen Aspekte, sondern auch um die Wahrnehmung der Bürger*innen:
„Die Energieversorgung ist nicht etwas weit entferntes, worauf Menschen keinen Einfluss haben. Nein, die Bürgerinnen und Bürger sind Teil des Energiesystems und die Menschen müssen selbst beginnen, energieeffizienter zu leben oder die Gewohnheiten zu ändern, um ein dezentrales System zu unterstützen.“
Ein Ansatz direkt innerhalb und mit den Kommunen sei hier der beste Weg. Als Idee nennt er mögliche Finanzinstrumente, auf die Kommunen direkt zugreifen könnten. Dies würde unbürokratische und direkte Lösungen für die Gemeinden ermöglichen.
Der Wunsch nach Planungssicherheit findet auch im Privatsektor Widerhall. Torsten Merkel, Geschäftsführer von N1-Capital (Externer Link), benennt als eine große Schwierigkeit für seine Firma die schwer vorherzusehende Entwicklung des ukrainischen Energiemarktes:
„[Es gibt] viel zu viele Unbekannte. Wie groß wird der Strombedarf sein? Geht es weiter mit der Zerstörung? Wie schnell wird alternative Kapazität aufgebaut? Wie schnell wird repariert? Und das führt dazu, dass wir wirklich große Schwierigkeiten haben, Eigenkapital einzuwerben.“
Als Ratschlag für andere Teilnehmer*innen aus dem Privatsektor empfiehlt er, Projekte umzusetzen, die nicht nur Energieproduktion, sondern auch Wärme- und Kälteerzeugung umfassen. Dies sei eine Möglichkeit, unternehmerische Risiken zu verringern.
Auch in den kommunalen Partnerschaften gewinnt das Thema Energieversorgung mit Hinblick auf den nahenden Winter an Bedeutung. Karin Radtke (International Relations Officer, Stadt Esslingen) beschreibt, dass die Bedarfe in der Partnerstadt Kamjanez-Podilskyj steigen. Die Stadt Esslingen versuche auf verschiedenen Ebenen zu helfen: durch die Lieferung von Generatoren, durch das Sammeln von Kleiderspenden und durch konkrete Kooperationen, zum Beispiel zwischen den Krankenhäusern der beiden Städte. Neben den materiellen Gütern merke man, dass auch die psychologische Unterstützung immer wichtiger werde, erklärt Radtke.
Im Rahmen der kommunalen Partnerschaft versuche man daher, die Partner*innen aus Kamjanez-Podilskyj für eine Woche nach Deutschland einzuladen. Einerseits, um inhaltlich an Themen zu arbeiten, aber auch um den Menschen eine wenig Auszeit von der Krisensituation zu ermöglichen.